Laut einer juristischen Einschätzung, die der HDE in Auftrag gegeben hat, kann der Modehandel nicht für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in den Vorstufen verantwortlich gemacht werden. Die für die Einhaltung des LkSG zuständige Bundesamt (BAFA) sieht dies anders.
Seit Anfang 2023 ist das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Kraft, ab 2024 gilt es auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Und seitens der Europäischen Union gibt es weitere Pläne, die bereits ab einer Grenze von 250 Mitarbeitern Auflagen bezüglich der unternehmerischen Sorgfaltspflicht vorsehen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich auch immer mehr mittelständische Textil, Schuh- und Lederwarenhändler mit dieser Thematik. Denn die Lieferketten speziell in der Textil- und
Lederbranche stehen spätestens seit der Rana Plaza-Katastrophe, die sich in diesem Jahr zum zehnten Mal gejährt hat, unter verschärfter Beobachtung von Politik, Medien und NGOs. Zudem häufen sich TV-Sendungen zum Thema. Im ZDF lief z.B. am 27. Juni die Sendung „Fast Fashion – Nähen zum Überleben“. Nicht zuletzt interessieren sich auch die Kunden verstärkt dafür, ob die angebotene Ware auch gesetzeskonform produziert wurde.
Problemtisch sind entsprechende Recherchen und Beweisführung vor allem für den Multilabelhandel. Schließlich hat der Händler in der Regel keine direkten Kontakte zu den Vorstufen seiner Lieferanten. Inwieweit kann bzw. muss er entsprechende Informationen zu vorgelagerten Stufen der Lieferkette einfordern? Und macht er sich womöglich strafbar, wenn diese unvollständig sind oder sogar z.B. aus Wettbewerbsgründen verweigert werden?
Kürzlich haben dazu die Kanzleien Noerr und Grube/Pitzer/Konnertz-Häussler im Auftrag des HDE Handelsverband Deutschland ein Gutachten erstellt. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass Händler nicht für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei der Markenartikel-Produktion verantwortlich sind. Einige Punkte aus der Begründung:
- Die Definition der Lieferkette in § 2 Abs. 5 LkSG schließt bereits tatbestandlich die Anwendung des LkSG auf den Handel mit Fremdmarkenartikeln aus. Denn eine
Lieferkette im Sinne des LkSG gibt es schon definitorisch nicht für Produkte von anderen Herstellern, die unter deren Marken vertreten sind.
- Händler von Fremdmarken arbeiten regelmäßig in etablierten Lieferbeziehungen, in denen Lieferanten verlässlich ihre Markenartikel in der Lieferkette überwachen.
Insoweit gilt der Vertrauensschutz.
- Die Fremdmarkenlieferanten bilden diejenige Stelle in der Lieferkette, welche auf die Umstände der Produktion relevanten Einfluss nimmt und diese Umstände, anders als ein Handelsunternehmen, steuern kann und will.
Das für die Überwachung des LkSG zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bewertet die Verantwortlichkeit für Markenprodukte dagegen bislang anders. Gemäß ihrer FAQs gehören Markenartikel zum „eigenen Geschäftsbereich" von Händlern, für den diese nach dem LkSG auch verpflichtet sind. Die HDE-Gutachter widersprechen dieser rechtlichen Einordnung: Selbst für den Fall, dass Markenartikel der Lieferkette von Händlern zugerechnet sind, könnten Händler nach einer "angemessenen Risikoanalyse" nur deutlich reduzierte Sorgfaltspflichten treffen.
Der BTE kommt zu dem Fazit, dass die konträren juristischen Positionen zum LkSG im konkreten Einzelfall voraussichtlich vor Gericht geklärt werden müssen. EHV-Mitglieder können das Gutachten bei ihrem Einzelhandelsverband anfordern.